Hate Über Alles

  • Review: Kreator - Hate Über Alles

    Es ist natürlich ein Großereignis in der Metalwelt, wenn die erfolgreichste deutsche Thrash Metal-Gruppe ein neues Album veröffentlicht. Fünf Jahre hat man sich seit dem eher lauwarmen "Gods Of Violence" Zeit gelassen und zwischenzeitlich natürlich mit Frédéric Leclercq anstelle des abgesprungenen Speesy Giesler einen Neuzugang am Bass zu verzeichnen gehabt. Spannende Zeiten also für die Achtziger-Jahre-Veteranen und obwohl der Titel von "Hate Über Alles" zunächst doch für arges Strinrunzeln sorgen musste, soll man ja nicht gleich bei den ersten negativen Vorzeichen die Flinte ins Korn werfen. Wichtig ist ja ohnehin, was die Scheibe musikalisch kann, und entsprechend warteten Thrasher allerorten gebannt auf die Albenveröffentlichung, die nun vergangenen Freitag endlich eintrat.

    "Sergio Corbucci Is Dead", heißt es da zunächst auf der Tracklist - eine Nachricht, die nur gut dreißig Jahre nach dem Ereignis auch im Hause Petrozza angekommen ist; das nenne ich mal zügige Informationsübermittlung! Andererseits muss Thrash Metal natürlich auch nicht zwangsläufig immer völlig up to date sein. Im Grunde kennt man die Form des von Fleshgod Apocalypse getragenen Intros ja bereits vom letzten Output und schon damals war es einigermaßen verzichtbar, aber da sich das Ganze nach knapp einer Minute bereits wieder abschaltet, mag man diese Spielerei honorieren können.

    Umso mehr, als direkt im Anschluss der Titelsong ertönt. Sicher, mit dem Titel "Hate Über Alles" haben sich Kreator ganz deutlich vergaloppiert (ja, die Dead Kennedys-Referenz ist bekannt, aber nicht alles, was bei einer Punk-Band cool ist, muss auch einer Thrash-Kapelle gut anstehen), aber musikalisch geht die Sache mächtig nach vorne. Dabei hat man direkt das Eröffnungsriff schlicht bei Exumer geklaut und nachdem der Track im Laufe des Songwritings laut Mille ganze fünf verschiedene Refrains hatte, hat man sich am Ende offenbar entschieden, einfach den von "Hordes Of Chaos" wiederzuverwenden. Das mag man nun wahlweise als Stilsicherheit oder Abkupferei titulieren, im Ergebnis bleibt aber festzuhalten, dass es sich hier um einen geilen Track und einen gelungenen, wenn auch nicht eben innovativen Opener handelt.

    Und auch mit dem nachfolgenden "Killer Of Jesus" machen Kreator mal überhaupt keine Gefangenen. Das Geschredder steigert sich vor allem im ersten Teil in regelrecht orkanartige Dimensionen, wobei in diesem Zusammenhang anzumerken ist, dass insbesondere Ventors Drums ausgesprochen gut und organisch produziert wurden, was in solchen Passagen einen enormen Vorteil darstellt. Im hinteren Teil geht es dann etwas gemäßigter zu, man könnte bemängeln, dass der Bridge-Part ein wenig sehr eindeutig für die Livesituation konzipiert ist. Nichtsdestotrotz und bei aller Erbsenzählerei handelt es sich hier aber um Thrash Metal der internationalen Topklasse.

    Für "Crush The Tyrants" nehmen die Essener das Tempo dann etwas heraus, verlieren dabei aber glücklicherweise nicht an Qualität. Zwar könnte man in den Strophen beinahe Angst bekommen, dass sogleich ein Schnulzenrefrain à la "From Flood Into Fire" folgen könnte, doch bleibt das Quartett dankenswerterweise durchgehend auf marschierendem, sehr headbangbarem Territorium. Zwar wird der ewige Midtempo-Klassiker "People Of The Lie" auch diesmal wieder nicht erreicht, doch selten war die Band dem auf ihren letzten Alben qualitativ so nahe wie hier!

    Und dann ist es plötzlich, als habe jemand Kreator den Stecker gezogen. "Strongest Of The Strong" ist zwar tempomäßig ähnlich gelagert wie der letzte Song, kommt jedoch vollkommen uninspiriert um die Ecke. Sicher, live werden die hörigen Horden den Songtitel schon eifrig mitshouten, aber das allein kann nicht der Anspruch einer Kreator-Nummer sein. Was man hier abliefert, lässt sich wie typisches B-Seiten-Material an, aber nicht wie ein regulärer Album-Track - und schon gar nicht wie eine Single.

    Aber es kommt noch dicker; "It's 1984, I hate the sun" lautet die erste Textzeile von "Become Immortal" - nur, dass sich der damals sechzehnjährige Mille für ein solch müdes Akkordgeschiebe fernab jeglicher Aggression und jeden Thrash-Potentials vermutlich in Grund und Boden geschämt hätte. Auf einer persönlichen Ebene hoffe ich, dass, sollte ich dereinst einmal klingen wie Enforcer auf Valium, irgendjemand die Courage hat, aufzustehen und mir zu sagen, dass ich es mit dem Thrash Metal lieber lassen sollte; diese Chance hat man bei Kreator leider verpasst. Ganz schlimm!

    Bei "Conquer And Destroy" hat man kurz das Gefühl, die Essener würden noch einmal in die Spur zurückfinden, bevor auch dieser Track unangenehm in die Pop-Metal-Ecke abdriftet. Dass da der Auftritt von Popsternchen Drangsal ebenfalls keine Besserung bringt, mag sich der Leser bereits ausgemalt haben, und tatsächlich sorgt seine völlig im luftleeren Raum hängende Stimme für den wohl schmerzhaftesten Augenblick des gesamten Albums.

    Es folgt der wohl am meisten unterbewertete Song des Longplayers in Form von "Midnight Sun" mit einem Gastbeitrag von Sofia Portanet - der natürlich nicht deshalb unterbewertet ist, weil die Nummer richtig gut wäre - das Gegenteil ist der Fall -, sondern weil man gar so viel Gemeines über ihn in einschlägigen Rezensionen liest. Wer hier jedoch Gothic- oder Rammstein-Einflüsse heraushören möchte, der verfügt schlichtweg über etwas zu viel Phantasie; tatsächlich hat man es hier mit einer völlig durchschnittlichen Kreator-Nummer post 2010 zu tun, die man hie und da mit ein paar weiblichen Vocals überzogen hat. Das ist zwar in ernüchternder Weise unspannend, aber längst nicht so schlecht, wie man es bei diesem Feature hätte erwarten können; den Negativpreis für den schlechtesten Gastbeitrag zu diesem Album sichert sich Sofia jedenfalls sicher nicht.

    Und dann haben die Ruhrpottler doch zumindest ein Kleinod auf der zweiten Hälfte des Albums versteckt. "Demonic Future" erfüllt alle Erwartungen, die man an Kreator im Jahre 2022 stellen kann. Hier wird gethrashed, bis die Möhre dübelt, das Ganze aber auch immer wieder mit einer guten Portion Melodie gekonnt abgeschmeckt. Wenngleich nicht ganz so stark wie das Eröffnungstrio, hat man hier noch einmal eine absolut hörenswerte Nummer vor sich!

    Ab hier freilich hat man das Gefühl, dass die Musiker beim Komponieren der letzten Songs mit dem Album gedanklich schon abgeschlossen hatten. In jedem Falle gelingt es "Pride Comes Before The Fall" nie, irgendeine Form von Momentum aufzubauen. Sami versucht zumindest, mit einem feinen Gitarrensolo zu retten, was zu retten ist, doch wenn anschließend zu Milles Gesang umgehend wieder die Langeweile um sich greift, dann muss man diesen Lichtblick wohl in der Kategorie "ehrenhafter Versuch" einsortieren. Vielleicht war es schlicht ein Fehler, dass man Mille ausweislich der Liner Notes des Albums erstmals sämtliche Songs im Alleingang schreiben ließ; möglicherweise einer der Gründe, derentwegen Speesy Kreator hinter sich gelassen hat?

    Und auch "Dying Planet" kann, trotz der guten textlichen Botschaft, das Ruder nicht noch einmal herumreißen. Grundsätzlich ist es ja eine durchaus interessante Tendenz der Band auf diesem Album, einzelne Songs mittels In- oder Outros miteinander zu verknüpfen, wie man es sonst eher von Gruppen aus der Symphonic- oder Okkult-Ecke gewohnt ist, doch bei dieser Nummer hat man ein Wenig das Gefühl, sieben Minuten lang einem Intro beizuwohnen.

    Fazit:
    Erstaunlich wenig Hass ist zu hören auf "Hate Über Alles" und das gereicht dem Album sicherlich nicht zum Vorteil. Gewiss mögen jetzt Manche zurecht einwenden, dass auch die schwächeren Nummern der Scheibe zum Großteil noch im Mittelmaß rangieren und tatsächlich ist das wohl auch die Rubrik, in die man den Longplayer am besten einordnen sollte, aber für die Erwartungen, die man an diese Band stellen kann, ist das einfach viel zu wenig - zumal die Truppe ja punktuell durchaus zeigt, wozu sie nach wie vor fähig ist, wenn sie denn tatsächlich einmal den Hammer herausholt. Unter dem Strich aber ist "Hate Über Alles" das Album für all diejenigen, denen die neue Destruction-Platte, die ja ihrerseits schon nicht mit dem Messer zwischen den Zähnen um die Ecke kam, zu Thrash-lastig war; da es von dieser Sorte Menschen eine ganze Menge gibt, wird auch "Hate Über Alles" wohl wieder sämtliche Charts stürmen, weil es Kreator an diesem Punkt in ihrer Karriere überhaupt nicht mehr verhindern können, die erfolgreichste deutsche Thrash Metal-Band zu sein. Die ursprüngliche Thrash-Crowd hat sich von den Essenern derweil ohnehin schon in großen Teilen abgewandt - und zu urteilen nach einem Album wie diesem, scheinen die vier Herren damit sogar ganz zufrieden zu sein.


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