Traditional Thursday #84: Alice Cooper - Our Love Will Change The World

  • So, heute gibt es mal eine ganz besondere Ausgabe des Kotzers der Woche. Seinen neuen Song "Our Love Will Change The World" hat Alice Cooper bereits im Dezember veröffentlicht und seither hatte ich den Plan, die Nummer zu meinem Song des Tages zu machen. Dabei kamen mir allerdings zunächst Weihnachten und Neujahr in die Quere, die ich natürlich, wenn mein Traditional Thursday schon genau auf diese beiden Tage fällt, eigens bedenken musste und dann kam dazu, dass der Song aufgrund seiner Aktualität eigentlich gar nicht an den Donnerstag passt, weshalb ich eigentlich einen Tausch mit dem Heavy Monday anstrebte, der aber trotz mehrfacher Anfragen leider nicht zustande kam. Nun muss es also der Thursday werden, auch wenn ich eigentlich kein Fan davon bin, Songs an Tagen zu listen, wo sie eigentlich nicht hingehören - aber damit sind wir ja ohnehin aktuell ganz gut dabei daher gönne auch ich mir jetzt diese Extravaganz!

    Nun aber zum eigentlichen Thema des Tages: Ich erinnere mich noch gut an die Diskussionen, die ich vor mittlerweile knapp zwei Jahren oft zu führen hatte, nämlich speziell jene um die damals neue Rammstein-Scheibe. Sowohl Fans der Band als auch gute Teile der neutralen Öffentlichkeit waren ja gerade von den Texten der Scheibe und insbesondere von "Deutschland" geradezu begeistert. Meine damals beinahe gebetsmühlenartig vorgetragene Anmerkung, dass fünf Minuten zu singen, ohne auch nur einen Hauch von klarer Aussage zu tätigen, zwar irgendwo durchaus eine Kunst ist, aber halt keine besonders nachahmenswerte, traf da meistens auf verschlossene Ohren. Nun gelang es aber einem anderen, lyrisch deutlich versierteren Künstler, ganz ohne großes öffentliches Bohei vorzumachen, wie ein grandioser Songtext auszusehen hat.

    Zielgenau sticht nämlich The Coop in unter vier Minuten eine Vielzahl der Wunden auf, an denen unsere Gesellschaft aktuell leidet. Denn sind es nicht letztlich immer dieselben Faktoren, die unsere sozialen Diskurse bestimmen - gehe es nun aktuell um das Pandemie-Management, oder Fragen, inwieweit dunkelhäutige Menschen auf Ortsschildern abgebildet werden dürfen oder ob man nicht sämtliche Statuen von historischen Persönlichkeiten, die nach heutigen Maßstäben als Rassisten zu bezeichnen wären, niederreißen müsste, oder hierzulande auch gerne um Diskussionen über Gender-Sternchen und Binnen-Is in der Schriftsprache (die Alice Cooper natürlich nicht direkt anspricht, die aber durchaus in das lyrische Zielfeld des Songs fallen würden), et cetera. Immer sind es an sich positive Grundideen, die aber in ihrer Umsetzung durch einen fatal fehlgeleiteten Idealismus ("Our love will change the world") mehr Schaden als Nutzen in die Welt tragen. Kultur, sei es die der Sprache, der Geschichte oder anderer Bereiche, wird vor dem großen Ziel, für das man zu arbeiten glaubt, als wertlos angesehen und ihre Beschädigung aktiv in Kauf genommen ("We have very little respect for everything"). Den Menschen werden die durch eine lautstarke Teilgruppe für nötig gehaltenen Neuerungen schlichtweg aufgezwungen, man solle sich nicht so anstellen wegen ein Wenig Veränderung ("You may not like it now, but you'll get used to it"), aber ein Ende dieser vermeintlichen Notwendigkeiten ist überhaupt nicht abzusehen ("And we're only beginning") und ihre konsequente Umsetzung müsste letztlich einen völligen Umbruch unseres Gesellschaftssystems zur Folge haben ("We've got something against so much"). Und was ist letztlich die Wurzel von alledem? Unter anderem der unmäßige Individualismus unseres 21. Jahrhunderts ("We'll kill any possibility and any illusion of synchronicity"), der aktuell deutlich macht, dass bei aller nötigen Abgrenzung vom uniformen Massen- und Führer-Kult des vergangenen Jahrhunderts die komplette Abkehr von jeglichem Blick für die Gesamtgesellschaft auch keine Lösung sein kann.

    Auf diese Weise könnte man im Prinzip jeden einzelnen Vers des Textes durchgehen, aber ich denke, dass die generelle Richtung klar geworden sein dürfte. Leider bekam die Veröffentlichung von "Our Love Will Change The World" in der letzten Zeit recht wenig Aufmerksamkeit, denn während Rammstein 2019 sehr viel Wind um recht wenig Inhalt machten, so kommt Alice Coopers neue Single von außen betrachtet und auch musikalisch bewusst bescheiden, beinahe bieder daher. Genehmigt man sich aber einen genaueren Blick, dann zeigt sich, dass Vincent Damon Furnier auch mit 72 Jahren immer noch gesellschaftlich relevanter ist, als es Till Lindemann je war. Chapeau, sage ich da und verlinke hier ausnahmsweise tatsächlich mal ein Lyric-Video an meinem Donnerstag, damit ihr euch dieses beispielhafte Werk nach dem wohl längsten Traditional Thursday ever auch noch selbst zu Gemüte führen könnt.

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    Strapped on the table
    The operation begins
    Caught in the fable
    The doctor is in...

  • Erstmal ein Sorry, dass wir den Tausch bisher nicht durchführten! Hab tatsächlich die letzten Male nochmal dran gedacht, aber andere Themen verwischten es dann wieder.. :evil:

    Bedauerlich nachdem ich nun weiß, um welche Nummer es ging. Finde das Ganze hat schon eine unterhaltsame, satirische Ader. Wie in meinem Beitrag zum Jahresrückblick erwähnt, ist es musikalisch ne gute Laune Nummer. Textlich dagegen ein ernstes Thema, welches zum Nachdenken anregt. Vielen Dank für das ausführliche Analysieren. Sehr wertvoller Artikel zum Coop Song! \m/

    Stay Heavy

    \M/ihe

  • Ja, deine Nennung im Jahresrückblick hat mich auch nochmal darin bestärkt, dass ich die Nummer unbedingt mal bringen muss! Gerade die Diskrepanz zwischen dem, wie du schon sagst, recht munteren Stück und dem ernsten Text macht auf jeden Fall viel her.

    Und wegen des Tauschs gibt es sicherlich irgendwann mal wieder eine Gelegenheit, wo es dann wieder hinhaut wie geplant 8)

    Strapped on the table
    The operation begins
    Caught in the fable
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