Eisregen - Zerfall

  • MetalCrew Classic Review: Eisregen - Zerfall

    Heute ist es an der Zeit, ein neues Format in unsere Gemeinschaft einzuführen: Haben unsere Reviews bisher immer nur neu erschienene Alben betroffen, so wurden in letzter Zeit vermehrt Fragen an die Admins herangetragen, ob nicht auch bestimmte sonstige Scheiben rezensiert werden könnten. Dieser Wunsch ist uns natürlich Befehl und so ist es meine Freude, die Kategorie des METALCREW CLASSIC REVIEW aus der Taufe zu heben, in der ich in unregelmäßigen Abständen (gerne auch auf Wunsch, sofern es sich einrichten lässt) bestimmte Alben zu besprechen hoffe. Dabei mag schon in der heutigen Erstausgabe des Formats deutlich werden, dass der Blick auch hinsichtlich der behandelten Genres ein Wenig über den auf dieser Seite bisher gesetzten Tellerrand hinausgeht, was den Rezensenten natürlich vor besondere Herausforderungen stellt; Eisregen landen bei mir nicht eben oft auf dem Plattenteller und das aus gutem Grund. Ich werde also versuchen, einerseits natürlich eine Einschätzung zum dargebotenen Material abzugeben, andererseits aber auch einen angemessenen und fairen Bewertungsmaßstab anzulegen.

    In diesem Zusammenhang war ich ganz froh darum, dass für den vorliegenden Review gerade Eisregens Debüt-Album "Zerfall" von 1998 gewünscht wurde. Entspricht es nämlich auch nicht wirklich meinen persönlichen Hörgewohnheiten, so kann die Scheibe doch in vielerlei Hinsicht als das vermutlich beste Album der Band gelten (namentlich die später oftmals mittelmäßig nervtötende Bratsche findet hier noch keine Verwendung) und darf jenen, denen die Band noch unbekannt ist, als Einstieg ans Herz gelegt werden. Gleichzeitig sei Neulingen freilich auch empfohlen, sich kurz ein Bild von Eisregens Band-Geschichte zu machen, bevor sie sich allzu tief im musikalischen Kosmos dieser Gruppe versenken. Die Band, ihre Musik und insbesondere die Texte können durchaus als kontrovers gelten, drei der Alben finden sich in Deutschland gegenwärtig auf dem Index. Es sei also auf diese Kontroversen hier hingewiesen, damit sich niemand aus Unwissenheit etwas anhöre, was er eigentlich gar nicht möchte; weiter soll die Thematik hier allerdings nicht vertieft werden, da der Fokus in diesem Artikel natürlich nicht auf der Aufarbeitung der Band- und Rezeptionsgeschichte von Eisregen liegt, sondern auf deren musikalischem Erstlingswerk.

    Selbiges beginnt mit dem vier Teile umfassenden "Pest"-Opus, das etwa die Hälfte der Spielzeit des gesamten Albums beansprucht. Der Opener "... Und Über Allem Weht Der Wind So Kalt (Pest I)" berichtet textlich von einer verwaisten Person in einer von der Seuche beinahe ausgerotteten Stadt und geht dabei für Eisregen-Verhältnisse gleich mal ganz ordentlich nach vorne. Kurz zur Einordnung: Wer auch immer behauptet, Eisregen hätten zu Beginn ihrer Karriere Black Metal gespielt, der kultiviert offensichtlich eine eher fragwürdige Vorstellung von Black Metal, tatsächlich waren die Thüringer von Anfang an in der Dark Metal-Ecke beheimatet. Behält man dies im Hinterkopf, kann man jedoch bei Songs wie diesem hier durchaus einen gewissen Black Metal-Einfluss feststellen, der die Nummer deutlich interessanter macht als das Meiste, was im Düster-Sektor sonst so veröffentlicht wird, und, beinahe überraschend, für eine absolut gediegene Hörerfahrung sorgt.

    "Legende des Leides (Pest II)" kann damit freilich leider nicht konkurrieren. Obwohl der Opener bereits den längsten Song des Albums darstellte, zieht sich der zweite Teil geradezu wie Kaugummi und ist überdies dafür, dass der Text davon handelt, wie unser armer Protagonist vom heimtückischen Pestdoktor und seinen Schergen niedergeschlagen und in ein Pestgrab geworfen wird, musikalisch verstörend positiv gehalten. Mag sein, dass die eingestreuten beschwingten, beinahe munteren Melodien irgendwie ein Mittelalter-Flair vermitteln sollen, doch leider konterkarieren sie komplett die Atmosphäre des Textes (der übrigens an sich recht stimmungsvoll gehalten ist). Erst in den letzten dreißig Sekunden legt der Song einen Zahn zu und erfüllt damit noch ein paar der an ihn gestellten Erwartungen.

    Ganz ähnlich verhält es sich auch mit dem dritten Teil unserer Tetralogie, "In Der Grube (Pest III)"; denkt man sich die gekrächzten Vocals und die rohe Produktion fort, so könnte ein nicht unbeträchtlicher Teil dieses Songs auch auf einer Subway To Sally-Scheibe stehen. Wiederum läuft das eigentlich dem Konzept des Stücks entgegen, in dem der Protagonist unserer Geschichte im zugeschütteten Pestgrab erstickt. Im Verlauf dieser Nummer finden sich mehrere Uptempo-Parts, die mit einem deutlichen Plus an Härte und musikalischer Ernsthaftigkeit einhergehen, trotzdem wäre eine konsistentere Komposition dem Song zugute gekommen.

    Die Geschichte endet mit "Auferstehung (Pest IV)", welches den großen Rachefeldzug unseres mittlerweile zum Zombie gewordenen Protagonisten schildert. Dieses Stück wartet dankenswerterweise nicht mit übertrieben fröhlichen Parts auf, trotzdem wirkt die Nummer zwischen den verschiedenen Teilen und Melodien etwas ziellos. Das ist schade, denn das nihilistische Grundkonzept hat an sich durchaus einen gewissen Reiz. So bleibt der erste Teil als Höhepunkt der "Pest"-Darbietung letztlich konkurrenzlos.

    Dass Eisregen freilich nicht nur eigene Geschichten aus dem Mittelalter darbringen wollen, sondern auch ihr Matthäusevangelium gelesen haben, belegt "Ich Bin Viele", welches aus der Sicht des Dämons Legion geschrieben ist. Anfang und Ende der Nummer haben beinahe einen leichten Death Metal-Anstrich - inklusive kurzzeitiger Growl-Einlage. Überhaupt singt Rotkehlchen, pardon, Blutkehle, hier noch deutlich anders als auf späteren Alben; der Gesang ist krächzend-heiser, was besonders gut zu den schwarzmetallisch eingeprügelten Passagen des Albums passt. Eine solche findet sich auch auf "Ich Bin Viele", ist jedoch leider nur wenige Sekunden lang und bleibt daher weitgehend wirkungslos.

    Mit "Eispalast" folgt anschließend der wohl unauffälligste Song auf "Zerfall". Ein weitestgehend generischer, im unteren bis mittleren Tempo-Segment angesiedelter Track, was freilich nicht heißen soll, dass er deutlich schlechter sei als der Rest des Albums. Negativ mag lediglich zu verzeichnen sein, dass die Nummer sehr Keyboard-lastig ist; das dürfte für den gemeinen Dark Metaller zwar kaum ein Problem darstellen, wer jedoch aus eher traditionelleren Bereichen kommt und Keyboards im Metal eigentlich ausschließlich im Rahmen des Generierens von düsterer Atmosphäre eine Daseinsberechtigung einräumt, dem mag das hier doch sauer aufstoßen, zumal die Keys auf dem gesamten Silberling, wohl aufgrund mangelnden Budgets für die Produktion, auch noch ausgesprochen Plastik-artig daherkommen.

    Das Gegenprogramm hierzu liefert dann freilich umgehend "Ode An Den Niedergang". Dieser ziemlich üble Hass-Bolzen mag textlich die Geister scheiden, kommt er doch als Generalabrechnung mit dem Christentum, verfasst wohl aus der Perspektive Luzifers oder des Antichristen, um die Ecke; nicht verleugnen lässt sich jedoch, dass man es hier musikalisch mit der potentiell besten Darbietung des Albums zu tun hat (besonderes Highlight: die zweite Strophe, wo zwischenzeitlich sogar die Black Metal-artigen Keyboards Pause machen). Schade nur, dass der Song, mit einer geradezu Grindcore-artigen Kürze gesegnet, nicht einmal die Zwei-Minuten-Marke knackt; hiervon hätte man gerne mehr gehört.

    Das folgende "Herzblut" stellt den einzigen Song von "Zerfall" dar, den ich bereits vor meiner Vorbereitung auf diesen Review benennen und auch eindeutig zuordnen konnte - vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil die Nummer seinerzeit im Zuge der Veröffentlichung des Albums groß als "Black Metal-Ballade" promotet wurde. Naja, de facto hat man einfach die auf dem Rest des Albums dominierenden Keyboards gegen ein Klavier ausgetauscht; ansonsten sind hier keine großen Besonderheiten zu vernehmen, auch qualitativ sticht die Nummer in keinster Weise aus dem Silberling heraus.

    Mit "Endzeit" wartet "Zerfall" zum Abschluss nochmal mit einer Midtempo-Nummer auf, die sich anfänglich gar nicht so übel anlässt, nach knapp zwei Minuten gar das vielleicht einprägsamste Riff des Albums liefert. Kurz nachdem der Song auf diese Weise allerdings Fahrt aufgenommen hat, bricht er plötzlich ab, die gesamte zweite Hälfte des Tracks besteht nur noch aus Regen-Geräuschen. Eine sehr verwirrende und etwas unbefriedigende Angelegenheit.

    Fazit:
    Für Freunde des Dark Metal kann man Eisregens "Zerfall" sicherlich eine Empfehlung aussprechen; Black Metaller sollten vielleicht zunächst einmal hineinhören, denn an dieses Genre erinnern hier lediglich die sehr rudimentäre Produktion, der Gesang und hie und da mal der eine oder andere Melodiebogen. Im Vergleich zu späteren Werken der Band findet man hier eine ungezähmtere, weniger diffizile Version von Eisregen, was sich durchwegs positiv niederschlägt. Die einzelnen Tracks sind stilistisch durchaus variiert, bleiben dabei jedoch zum Großteil auf einem in etwa gleichen qualitativen Level; im Zweifel sind die Songs der "Pest"-Tetralogie dem Rest knapp vorzuziehen, da hier das textliche Konzept eine gewisse Faszination ausübt und so kleinere handwerkliche Schwächen der Lyrics übertüncht, die bei den anderen Liedern stärker ins Auge (respektive Ohr) fallen. Wenngleich man es hier auch in keiner Hinsicht mit einem Jahrhundert-Album zu tun hat, stellt "Zerfall" in der Diskographie von Eisregen doch mit Sicherheit ein überdurchschnittliches Werk dar, was es verwunderlich erscheinen lässt, dass die Scheibe bei der Gruppe selbst keinen allzu hohen Status zu genießen scheint; darf man dem lieben Internet Glauben schenken, so taucht von dem Scheibchen nur noch der dritte Teil der "Pest"-Reihe regelmäßig in den Live-Sets der Band auf. Sollte jemand übrigens das Bedürfnis haben, die Gruppe einmal auf einem Gig zu erleben, so bietet es sich an, einen Blick auf die (eigentlich bereits für vergangenes Jahr angesetzte) Tour der Thüringer mit Welicoruss zu behalten, die hier ja ebenfalls schon mal mit einem Review bedacht wurden. Die endgültigen Konzert-Daten stehen natürlich Pandemie-bedingt noch nicht fest, trotzdem darf man wohl gespannt bleiben.


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