• Review: Exodus - Persona Non Grata

    Noch gut einen Monat ist es hin bis zum Weihnachtsfest, doch bei den Thrashern dieser Welt gab es schon an diesem Wochenende vielerorts leuchtende Augen; Exodus, die ungekrönten Könige der Bay Area, haben ihr neues Album "Persona Non Grata" veröffentlicht - nach der schier endlosen Wartezeit von ganzen sieben Jahren. Nach einer solchen Dauer stellen sich beim neuen Longplayer im Vergleich zu seinem Vorgänger "Blood In Blood Out" natürlich so einige Fragen: Hat sich die Band musikalisch weiterentwickelt? Schlägt sich Gary Holts Zeit bei Slayer im Songwriting nieder? Oder ist durch seine lange Absenz der Gitarrenmeister vielleicht in den Hintergrund getreten und hat anderen Bandmitgliedern mehr Räume zum Songwriting gelassen? Eventuell Sänger Zetro Souza, der zum letzten Album noch kaum hatte beitragen können, da er erst kurz vor der Aufnahme in die Band zurückgekehrt war?

    Zumindest das erste dieser Verdachtsmomente kann schon mit dem Eröffnungsriff von "Persona Non Grata" ausgeräumt werden. Der Gitarrenlauf klingt zu hundert Prozent nach Exodus, oder, um es zu konkretisieren, nach "Deathamphetamine" vom "Shovel Headed Kill Machine"-Album; und nicht nur das Mainriff, auch der Refrain und eine ganze Reihe von kleineren Läufen und Notierungen verweisen überdeutlich auf jenen Song. Das ist nun an sich nicht weiter verwerflich, handelt es sich bei der genannten Nummer doch um den vielleicht stärksten Track der gesamten Dukes-Ära, einen solchen Song aber als Opener und Titelstück eines neuen Albums zu verwenden, erscheint doch etwas unglücklich, belastet es das Lied doch mit dem Makel, stellenweise wie eine einfache Neuauflage herüberzukommen. Damit nicht genug, ist auch der Refrain von "Persona..." nur mäßig spektakulär ausgefallen und im Vergleich zur Vorlage wirkt auch der Instrumental-Part hie und da etwas unfokussiert. Es spricht an sich nichts dagegen, sich beim Songwriting an vergangenen Klassikern zu orientieren, nur sollte man diesen dann mit den entsprechenden neuen Werken auch gerecht werden. Davon abgesehen ist ein siebeneinhalb Minuten langes Stück als Opener eines Albums einfach schwere Kost. Sicher, "Black 13" von "Blood In Blood Out" war mit 6:21 Minuten jetzt bezüglich seiner Länge auch nicht grade in Slayer-Gefilden unterwegs, doch war damals zumindest eine Minute des Intros wegen abzuziehen. Die aktuelle Mode, den geneigten Fan gleich zu Beginn eines Albums direkt mit einem Song-Monster zu erschlagen, hat sich jedenfalls bei Exodus wie bei vielen Anderen auch nicht zum Vorteil ausgewirkt.

    Demgegenüber wirkt das etwas kryptisch betitelte "R.E.M.F." mit seinen knapp viereinhalb Minuten geradezu wie eine erfrischend kurzweilige Angelegenheit. In der Tat wird hier sehr befreit und wie immer mit viel Wut im Bauch nach vorne gethrasht, doch krankt die Nummer wie schon der Opener an einem zu uneingängigen Refrain, der den Drive aus der Strophe unterbricht, dafür aber kein anderes, vergleichbares Element einführt. Das ist bedauerlich, denn auch dieser Track weiß mit starker Gitarrenarbeit an sich durchaus zu überzeugen.

    Beinahe blasphemisch ist man an dieser Stelle versucht, zu konstatieren, dass Gary Holt, so überragend er als Gitarrist sein mag, in seiner Band kaum den kompetentesten Songwriter darstellen dürfte. Wie seinerzeit "Blood In Blood Out" verfügt auch "Persona Non Grata" über genau einen Song, an dessen Komposition der Bandchef nicht beteiligt war. Schon 2014 war "Body Harvest" mit Abstand der stärkste Track des gesamten Albums und auch die neue Scheibe braucht erst "Slipping Into Madness" aus der Feder von Zetro Souza (Text) und Lee Altus (Musik), um in ein vernünftiges Fahrwasser zu kommen. Lee beweist an dieser Stelle deutlich, warum er auch für seine Stammband Heathen als eine Art Lebensversicherung gelten kann; ein potentes Mainriff wird flankiert von einem Refrain, für den die Wendung "heavy as hell" wohl erfunden wurde und der auch live für fliegende Mähnen en masse sorgen dürfte, sowie noch einem unerwarteten Tupfer Melodie gegen Ende des instrumentalen Abschnitts.

    Und munter geht es direkt weiter, wenngleich "Elitist" im Gegensatz zu den ersten drei Nummern eher im Midtempo gehalten ist. Der Track durchläuft eine schöne Entwicklung vom heftigen Stampfen im ersten Teil der Strophe über einen coolen, leicht an die "Tempo Of The Damned"-Scheibe erinnernden Groove hin zu einem sehr melodischen Pre-Chorus, wobei der melodische Aspekt letztlich den Großteil des Songs dominiert, was eine sehr eingängige, wenn auch verhältnismäßig zahme Exodus-Nummer ergibt.

    Das folgende "Prescribing Horror" wiederum ist einer jener Songs, mit denen Traditionalisten ihre Probleme haben könnten. Wie schon vielfach angemerkt wurde, handelt es sich hierbei um den einzigen Track auf "Persona Non Grata", bei dem man einen gewissen Einschlag von Slayer feststellen mag - hier freilich eher der Nummern von Hanneman, als dass von einem direkten Einfluss von Kerry King die Rede sein könnte. In seiner schleppenden, bedrückenden Düsternis ist das Lied sehr atypisch für Exodus; dennoch war es eine gute Entscheidung, noch am Tage der Albumveröffentlichung ein Lyrics-Video zu just diesem Stück zu veröffentlichen. Der Text nämlich, der auch in der Gestaltung des Albencovers wieder aufgegriffen wurde, behandelt die Contergan-Kinder der Fünfziger- und Sechziger-Jahre und stellt ohne Zweifel einen der besten und eindrücklichsten des gesamten Longplayers dar.

    "The Beatings Will Continue (Until Morale Improves)" scheint gegenüber jenem Song geradezu eine Antithese zu bilden. Hier wird in Rekordzeit alles im Highspeed-Modus umgesenst und dabei keinerlei Gefangenen gemacht, wobei man sich als Hörer freilich durchaus wünschen könnte, der Track hätte irgendeinen greifbaren Dreh- und Angelpunkt, insbesondere wenn man bedenkt, es hier mit der Leadsingle des Albums zu tun zu haben. Es ist beinahe ironisch, dass auf "Persona Non Grata" die etwas experimentellen Stücke fast durchgehend voll überzeugen, während die eine oder andere klassische Uptempo-Nummer den Eindruck erweckt, sie sei nur geschrieben worden, weil es als Thrash Metal-Band nun einmal nicht möglich ist, auf solche Songs zu verzichten.

    Selbiges gilt auch für das nächste Stück, "The Years Of Death And Dying", das jedoch von den zwei eben genannten Kategorien eindeutig der ersteren zuzuordnen ist, denn abgesehen von den Gitarrensoli und dem unveränderlich angepissten Gesang von Zetro erinnert hier kaum etwas an eine gewöhnliche Exodus-Nummer. Ein starker Fokus liegt einmal mehr auf dem - ebenfalls als Lyrics Video einsehbaren - Text, welcher von Drummer Tom Hunting, der ja letztes Jahr selbst vom Krebs übel erwischt wurde, ursprünglich als ein Gedicht verfasst worden war, in das er zahlreiche Anspielungen auf verstorbene Größen des Musik-Business' einbaute. Nun ist das "Such die Referenz"-Spielchen in Song-Lyrics mittlerweile zwar mehr als nur ein bisschen ausgelutscht, doch in einer solchen Eindringlichkeit und Direktheit, die dem Hörer selbst emotional nahegeht, hat man Entsprechendes erst selten zu hören bekommen, zumal die musikalische Begleitung sich dem lyrischen Inhalt perfekt anpasst. In den Strophen regiert ein hintergründiger, düsterer Groove, der dem Gesang die Bühne überlässt; im sehr melodischen Refrain wiederum werden dann endgültig sämtliche Konventionen über den Haufen geworfen, wenn Exodus, die Band mit dem vielleicht unmelodischsten Gesang der Welt, sich plötzlich an Harmony Vocals versuchen - und die Sache auch noch richtig gut klingt!

    Nach diesem Kulturschock im wörtlichsten Sinne braucht das Thrasher-Herz erst einmal wieder etwas Vertrautes und das bekommt es in Form von "Clickbait". Die hier vorgebrachte Medienkritik fällt nicht ganz so tiefschürfend aus wie die Texte zu "Prescribing Horror" und "The Years...", wurde aber dennoch mit einem eigenen Lyrics-Video geadelt. Musikalisch hat man es hier mit einem Uptempo-Brecher erster Güte zu tun, der im Riffing ein wenig an die gelungeneren Machwerke der Ära Dukes erinnert. Nichtsdestotrotz lassen es sich Exodus nicht nehmen, auch hier im Refrain eine kleine aber feine Melodie einzubauen, die das Stück von den uninspirierteren Nummern des Longplayers unterscheidet. Wie dem auch sei, spätestens mit diesem Track sollten pünktlich zum Album-Finale auch alle Puristen wieder ins Boot geholt worden sein.

    Bevor dieses jedoch so richtig losgeht, ist noch das Instrumental "Cosa Del Pantano" eingeschoben, das Gary Holt offenbar bei sich zu Hause im Garten eingespielt hat. Von der gesamten Machart her fühlt man sich hier sofort an das "30 Seconds"-Interludium von der "Pleasures Of The Flesh"-Scheibe erinnert. Gut, ein bisschen länger fällt die Einlage anno 2021 dann doch aus, aber nichtsdestotrotz dürfte sich der Mehrwert der Nummer weitestgehend in ihrem Status als Fallstudie für Gitarrenschüler erschöpft haben.

    Wesentlich schwerer wiegt freilich, dass der auf diese Weise eingeleitete Track, "Lunatic-Liar-Lord", ebenfalls zu den mittelmäßigeren des Albums gezählt werden muss, dessen längstes Lied er mit ganzen acht Minuten darstellt. Die Riffs sind, bei all ihrer technischen Klasse, schlicht nicht dazu geeignet, ein dermaßen ambitioniertes Stück zu tragen und zu allem Überfluss stellt die Bridge dieses Songs die einzige Stelle auf "Persona Non Grata" dar, in der die Band in wirklich dumpfes Gegroove abrutscht. Da hilft dann unter dem Strich ein Gast-Solo von ex-Gitarrist Rick Hunolt ebenso wenig wie die ganz zum Schluss des Tracks noch einmal eingestreute "Pleasures Of The Flesh"-Referenz.

    Mit "The Fires Of Division" feuern Exodus freilich direkt im Anschluss bereits wieder eine Riff-Breitseite ab, die den Großteil der Genre-internen Konkurrenz allein ins zweite Glied stellen dürfte. Im Pre-Chorus macht Zetro den wohl effektivsten Gebrauch von dem Death Metal-artigen Register, das er auf diesem Album allgemein ein wenig für sich entdeckt zu haben scheint. Umso mehr überrascht es, wenn sich nach dem finalen Refrain noch eine raffinierte Melodiesektion angelegt findet, die den Song jedoch absolut sinnvoll ergänzt und sich bei mehrfachem Hören gar zu einem kleinen Highlight entwickelt.

    Apropos "Highlight": Ein solches haben Exodus ganz am Ende von "Persona Non Grata" noch einmal versteckt; denn die Trümmer, die die vorigen Tracks zurückgelassen haben, kehrt "Antiseed" mit einem Riff-Tornado auf. Die Nummer langt ordentlich zu und liefert noch einmal ausreichend Gelegenheit zum Headbangen, funktioniert aber nicht zuletzt deshalb so gut, weil sich die Band traut, das dominierende Uptempo mit einem abseits des Gesangs beinahe Hard Rock-artigen, herrlich groovenden Refrain zu konterkarieren.

    Fazit:
    Wenn Exodus ein neues Album veröffentlichen, dann legt der Thrash Metaller an dieses mit Recht die höchstmögliche Erwartungshaltung an - umso mehr, wenn diesem Album eine Wartezeit von ganzen sieben Jahren vorausging. "Persona Non Grata" muss sich an dieser Erwartungshaltung messen lassen und es hält ihr Stand. Man hat es hier mit einem erstklassig umgesetzten, technisch anspruchsvollen und kompositorisch versierten Thrash Metal-Album zu tun, das nach leichten Startschwierigkeiten in Gang kommt und sämtliche Werke der Rob Dukes-Ära in den Schatten stellen kann. Doch "Persona Non Grata" sieht sich in der Nachfolge von "Blood In Blood Out", wie nicht nur aus dem einmal mehr sehr geschmackvollen Coverartwork hervorgeht, und diesem Kracher können Exodus im Jahre 2021 nicht mehr ganz das Wasser reichen. Man mag jetzt anmerken, dass die 2014er Scheibe weitgehend auf Nummer sicher komponiert war, doch der Fakt bleibt bestehen, dass damals jeder einzelne Song zum Gelingen des Albums als Gesamtheit beitrug. "Persona Non Grata" ist stilistisch etwas freier und erkundet hie und da neues Territorium, läuft dabei jedoch stellenweise Gefahr, seine Kernkompetenz, geradlinige Thrasher, etwas in den Hintergrund treten zu lassen. Dieses Manko darf nicht überbewertet werden, da die experimentelleren Nummern ausnahmslos gelingen. Exodus haben in diesem Jahr ihr Soll zweifelsohne erfüllt, was angesichts der haushohen Erwartungen eine ehrenwerte Leistung darstellt. Sie haben - und auch das gehört zur Wahrheit - es aber verpasst, noch etwas darüber hinaus zu schaffen, was vielleicht den letzten Funken Begeisterung aus dem Publikum herauskitzeln könnte. Dennoch: Nach dem Ende von Slayer ist der Status von Exodus als beste Thrash Metal-Band der amerikanischen Westküste durch niemanden mehr ernsthaft zu gefährden.

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