• Review: Deep Purple - Infinite:

    Was macht der durchschnittliche Homo Metallicus eigentlich so mit siebzig? Die meisten legen wahrscheinlich die Beine hoch und genießen den verdienten Ruhestand bei ein paar Gläsern Jacky Cola. Andere kommen schon gar nicht mehr in den Genuss dieses Lebensabschnittes - Sex, Drugs and Rock 'N' Roll fordern schließlich irgendwann ihren Tribut. Die Herren von Deep Purple scheint all das aber eher wenig zu interessieren, haben sie doch erst vor kurzem Pläne für eine (letzte?) große Welttournee veröffentlicht und machen nach wie vor mit ungetrübtem Eifer und Einsatz die Bühnen dieser Welt unsicher. Passend dazu liegt mit "Infinite" auch der nunmehr zwanzigste (!) Studio-Output der Briten vor, der nach vier Jahren Pause jetzt die Nachfolge von "Now What?!" antreten soll. Für die Produktion zeichnete wie schon beim Vorgänger einmal mehr Bob Ezrin verantwortlich (der außerdem auch am Songwriting mitwirkte), es war also eigentlich schon vorher klar, dass soundtechnisch kaum etwas anbrennen würde auf dem Scheibchen. Doch die Frage, ob die Herren Gillan, Glover, Paice und Co. noch genügend Power haben, um ein ordentliches Album abzuliefern, stand dennoch unbeantwortet im Raum und wurde auch durch die Singles "Time For Bedlam" und "All I Got Is You" - zwei extrem unterschiedliche Songs - bestenfalls in Ansätzen beantwortet. Doch seit Freitag liegt nun das komplette Album vor und lässt bessere Schlüsse darauf zu, wie es um die Band im fünfzigsten Jahr ihres Bestehens bestellt ist.

    1. Time For Bedlam:
    Der Opener des Albums ist schon einmal eine extrem zweischneidige Angelegenheit. An sich hat man hier durchaus einen sehr starken Song vor sich, doch zu Anfang und Ende des Tracks finden sich leider auch ungewöhnlich mechanische Sprach-Passagen, die irgendwie den Eindruck eines Techno-Stückes erwecken. Schade, denn so wird das Feeling des Songs doch ziemlich zerstört. Hier wäre definitiv mehr drin gewesen.
    6/10 Punkte

    2. Hip Boots:
    Ein Track, der an sich in einer ähnlichen Klasse spielt wie der Opener, aber zum Glück auf ähnlich unpassende Passagen wie dieser verzichtet. Ein sehr cooler Groove und ein starker Solo-Part zeigen, dass Deep Purple nach wie vor in der Lage sind, hochwertige Musik zu schreiben und sich auch vor den stärkeren Songs der letzten Alben nicht verstecken müssen.
    7/10 Pkt.

    3. All I Got Is You:
    Der zweite Song, der als Single ausgekoppelt wurde, ist jetzt der erste des Albums, der in eine ganz andere Richtung geht als die bisherigen. Sehr ruhig und melancholisch, beinahe psychedelisch und mit viel Keyboard läuft die Halbballade ab und ist dabei recht soft unterwegs ohne dabei aber zu kitschig zu geraten. Sicher von Zeit zu Zeit sehr gut hörbar, erreicht aber nicht ganz das Niveau der ersten beiden Songs.
    6/10 Pkt.

    4.One Night In Vegas:
    Ein Song, der wieder wesentlich straighter zur Sache geht, dafür aber mit Klavier-Klängen überrascht und wohl am ehesten als Referenz an die ganz frühen Alben der Band zu verstehen sind. Für mich hätte das ganze allerdings etwas mehr Power vertragen können. So hat man zwar erneut einen netten, groove-betonten Song, dem aber leider der letzte Punch fehlt.
    5/10 Pkt.

    5. Get Me Outta Here:
    Die wohl langsamste Nummer des gesamten Albums kommt stampfend aus den Boxen, wirkt aber aber in den Strophen seltsam disharmonisch. Der Refrain ist ganz nett, aber letztlich auch nichts außergewöhnliches und so bleibt der Track trotz eines coolen Keyboard-vs-Gitarrenzwischenspiels, in dem das Duo Airey/Morse glatt an ihre großen Vorgänger Blackmore/Lord denken lassen, etwas im Mittelmaß stecken.
    5,5/10 Pkt.

    6. The Surprising:
    Die vielleicht schwelgerischste und verträumteste Nummer des Albums erinnert mich über weite Strecken ein Wenig an "When A Blind Man Cries" vom "Machine Head"-Album. Zwar erreicht man natürlich nicht die Klasse dieses ewig jungen Klassikers, doch auch "The Surprising" ist durchaus hörenswert und gewinnt zudem dadurch, im ersten Teil der Bridge doch etwas mehr Fahrt aufzunehmen. Lediglich, dass im Anschluss daran noch einmal wie schon zu Beginn extrem getragene Keyboard-Melodien einsetzen, trübt den Eindruck etwas, doch tut das dem Song als ganzen letztlich auch keinen Abbruch.
    6,5/10 Pkt.

    7. Johnny's Band:
    Eine der Nummern, bei denen sich die Band wieder etwas kürzer fasst. Sehr entspannt, mit einem coolen Bass-Sound klingt das ganze ein Wenig an das live zum Stimmungsgaranten avanchierte "Hell To Pay" vom letzten Album. Macht Laune und gehört sicherlich zu meinen Favoriten des Albums!
    7/10 Pkt.

    8. On Top Of The World:
    Und in dem Stile geht es dann auch gleich weiter! "On Top Of The World" läuft in eine ganz ähnliche Richtung wie der letzte Song, macht dabei aber einen gewissermaßen ernsthafteren Eindruck, was das ganze noch einmal deutlich aufwertet und wartet dennoch mit einer Lockerheit auf, die man wohl nur hat, wenn man schon seit fünf Dekaden im Business ist. Das sind Deep Purple, wie sie im Jahr 2017 klingen müssen! Noch ein Punkt mehr wäre allerdings drin gewesen, wenn man auf den erneut extrem nervtötenden Sprech-Part verzichtet hätte. Der ist zwar in diesem Fall nicht so schlimm wie bei "Time For Bedlam", doch wie Ian auf die Idee gekommen ist, dass sowas eine gute Idee wäre, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
    8/10 Pkt.

    9. Birds Of Prey:
    Eine weitere Nummer, auf der Purple ihre entspanntere Seite ausleben. Häufig kann ich mit derlei Nummern eher wenig anfangen, haben sie doch meist einen gewissen Hang zur Langeweile, doch "Birds Of Prey" ist echt angenehm zu hören, auch wenn es die Band mit den Soundeffekten auf Gesang, Gitarre und Drums hier und da doch ein Wenig übertreibt. Trotzdem alles in allem kein schlechter Track.
    6/10 Pkt.

    10. Roadhouse Blues:
    Zum Abschluss des Albums warten Deep Purple dann noch mit dem Cover dieses Songs von The Doors auf. Jetzt kann ich mit dem Titel schon im Original nichts anfangen, aber das Cover hat nun auch wirklich auch nicht dazu beigetragen, die Nummer irgendwie spannender zu machen. Natürlich ist Deep Purples musikalische Klasse einfach zu groß, als dass der Song ein ernsthafter Ausfall werden könnte, doch hört sich das ganze eher nach einem zufällig mitgeschnittenen Jam an und ist sicherlich die verzichtbarste Nummer des Albums.
    5/10 Pkt.

    Fazit:
    Und so reiten sie also, Deep Purple, langsam in den Sonnenuntergang ihrer Karriere. Viel besonderes passiert bei dem Quintett ja schon seit längerem nicht mehr und so kann auch "Infinite" zwar mit den direkten Vorgängern mehr oder weniger gut mithalten, das Potential zum Klassiker hat die Scheibe aber definitiv nicht. Das muss allerdings auch nicht überraschen, immerhin sind Deep Purple spätestens nach "The Battle Rages On" (manche würden sagen, nach "Perfect Strangers") doch ziemlich in der musikalischen Bedeutungslosigkeit versunken und machen das ganze wohl mittlerweile hauptsächlich für den eigenen Spaß. Den wiederum scheinen sie dann auch auf "Infinite" durchgehend zu haben und schaffen es dabei zumindest, zu altern ohne dabei das eigene Andenken zu beschädigen, was man durchaus nicht über alle Bands dieses Alters sagen kann.

    Strapped on the table
    The operation begins
    Caught in the fable
    The doctor is in...

  • Sehr guter Punkt mit dem Spaß der alten Herren an der Bandgeschichte. Es ist viel Wert wenn man mit Freude an ein neues Album ran geht.
    Bekanntlich kommt diese Stimmung ja auch beim Zuhörer an. Das tut sie erfreulicherweise auch!

    Nun aber zum Kritikpunkt: Ich vermute, dass gerade durch diese Grundstimmung die Schwelle für verspielte / experimentelle Phrasen gewachsen ist.
    Das war fatal! Schon entsteht so ein (Entschuldigung für den Ausdruck) BULLSHIT an Stimmeffekthascherei seitens Gillans bei Track 1.
    Wie kommt man den nur auf so was? Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeinem langjährigen Deep Purple Fan das gefallen kann.
    Ich hoffe, dass der Mist tatsächlich auf Grundlage meiner Vermutung entstanden ist und nicht als Versuch in der allgemeinen Jungszene Fuß zu fassen.

    Erstaunlicherweise ist beim Track 8 (On Top Of The World) erneut ein rund 50 Sek. langer Sprecheffekt-Part platziert.
    Dieser wirkt nicht so "ungewöhnlich mechanisch"! Trotzdem hätte ich ihn entfernt, da er den Eindruck eines Lückenfüllers vermittelt.
    Ansonsten zeigt die Nummer das wahre Können der Herren und bringt die erwähnten Werte perfekt auf den Punkt \m/

    Um die Kritik nicht vollkommen in ein "Ich hasse Sprecheinlagen in Musikstücken" Licht zu rücken, möchte ich zuletzt noch an folgendes erinnern:
    - Der Opener "If Eternity Should Fail" aus dem aktuellen Maiden Album enthält eine vergleichbare Einleitung => Effekt? Hall! Hätte das nicht einfach gereicht, Purple?


    PS: Einen guten Einblick in die Entstehung des Albums bietet der dazugehörige Dokumentarfilm:

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    Stay Heavy

    \M/ihe

  • Alternativ auch möglich: Gar kein Effekt! Da fallen mir zum Beispiel Metallica ein, die auf dem Black Album ebenfalls auf zwei Songs Sprechpassagen hatten ("Enter Sandman" und "Of Wolf and Man"), die aber beide Male sehr gut reingepasst haben.

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